18.04.2021

Fabrik Steinbach / Fabrik Dietrich / VEB Martex / VEB Textilwerke "Clara Zetkin"

Fabrikgebaeude Martex 2007

 
Markersdorfs älteste Schänke

Der industrielle Aufschwung hat von 1800 an auch im Chemnitztal zur Gründung vieler Industriebetriebe, insbesondere im Textilgewerbe, geführt. Die meisten Fabriken wurden im 19. Jahrhundert errichtet. Oftmals wurden dabei bestehende Gebäude wie z.B. Mühlen von reichen Fabrikbesitzern aufgekauft und umgebaut. So entstand auch das Markersdorfer Textilwerk, die im Volksmund "Clara" genannte Fabrik, unmittelbar an der Chemnitz.

Die Brücke über die Chemnitz befand sich bis ins 19. Jahrhundert noch ca. 100 m flussabwärts vom Standort des aktuellen Flussübergangs. Erst mit der Fertigstellung der Mittweida-Limbacher Staatsstraße in Markersdorf wurde an der uns heute bekannten Stelle eine neue Brücke errichtet.

Die älteste Markersdorfer Schänke hatte ihren Standort an der ursprünglichen Brücke. Schon frühzeitig hatten tüchtige Schankwirte sich das Recht des Reihenschankes erworben. Hier an der alten Furt und an der alten Chemnitzbrücke wurde in vergangenen Jahrhunderten auch das Brückengeld einkassiert. (1) Offenbar lief aber auch das Bewirtungsgeschäft sehr erfolgreich, denn der reiche Tauraer Müller Bräunig versuchte mehrfach das Schank- und Tanzrecht käuflich zu erwerben. Doch erst im Jahre 1853 hatten seine eifrigen Bemühungen, nach dem Tode des letzten Gastwirtes den erhofften Erfolg. Den Tagebüchern des Totengräbers Oberländer in Claußnitz konnte man entnehmen, dass die beiden Gebäude, die den ältesten Gasthof ausmachten, am 18. Oktober 1853 für 2675 Taler an den Strumpfwarenfabrikanten Friedrich Wilhelm Steinbach aus Wittgensdorf verkauft wurden. Die Rechte aber, die auf diesen beiden alten Häusern lagen, erwarb der erwähnte Tauraer Müller Bräunig. (1)

Mit Gleichberechtigung war es in dieser Zeit nicht sehr weit, denn die Gattin des verstorbenen Gastwirts Reinhardt wurde gänzlich abgewiesen und ging leer aus. (1)

 
Aus der Dorfschänke entwickelt sich eine Fabrik

Da sich die Gebäude der alten Dorfschänke nunmehr zu weit von der neuen Mittweida-Limbacher Staatsstraße entfernt befanden, eignete sich der Standort nicht mehr zum Betrieb als Gaststätte. Der Müller Bräunig errichtete daher in Markersdorf "an der Chaussee" bald ein großes, schönes Gebäude, in dem unter dem Namen "Tivoli" die Gastwirtschaft weiter geführt wurde. (1) Zuletzt war diese Gastwirtschaft unter den Namen "Lindenhof" bekannt, wurde 1967 geschlossen und später anderweitig genutzt. Inzwischen sind auch diese Gebäude abgerissen und Geschichte.

Doch zurück zur Fabrikentstehung: Der Wittgensdorfer Fabrikant Friedrich Wilhelm Steinbach wiederum nutzte die erworbenen Gebäude und ließ ab 1867 hier Strümpfe herstellen. (2) Auf dem Gelände wurden zu dieser Zeit weitere Gebäude errichtet und seit 1880 ist hier die Strumpffabrik Steinbach bekannt. (3)

1903 kaufte Richard Dietrich die Strumpffabrik und ließ nun darin Handschuhe fertigen. Ob die optimale Lage direkt an der 1902 eröffneten Chemnitztalbahn am Bahnhof Markersdorf-Taura dabei eine Rolle spielte kann nur vermutet werden. Von 1918 an war Sohn Erich Dietrich Mitgesellschafter. Fabrikant Richard Dietrich starb im Jahre 1938. (2)

Handschuhfabrik Richard Dietrich


Während des zweiten Weltkrieges lieferte der damalige Besitzer Erich Dietrich Unterwäsche und Handschuhe für die Wehrmacht. Dies wird als Grund gesehen, dass Dietrich 1950 wegen Wirtschaftsvergehen verurteilt und enteignet wurde. (2) Weitere Quellen sprechen auch davon, dass im Textilunternehmens Richard Dietrich während des 2. Weltkrieges sowjetische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter eingesetzt wurden. (5)

Der Betrieb wurde seit 1948 treuhänderisch verwaltet (2), Dietrich soll zu dieser Zeit in den Westen geflüchtet sein. (3) Bereits 1945 wurde die Firma Dietrich als Reparationsleistungsbetrieb bestimmt, die nach dem Krieg Untertrikotagen und Spezialhandschuhe produzierte. (3)

Gebäude der Markersdorfer Textilfabrik vom Bahnhof Markersdorf-Taura aus gesehen (2003) Gebäude der Markersdorfer Textilfabrik vom Bahnhof Markersdorf-Taura aus gesehen (2003)


 
In "Volkes Händen"

1951 erfolgten die Überführung in Volkseigentum, die Angliederung an die Vereinigung Volkseigener Betriebe (VVB) "Trikot" Limbach-Oberfrohna und die Umbenennung in "VEB Martex". (2)

Im Handelsregister eingetragen wurde der Volkseigene Betrieb (VEB) im August 1952 als Markersdorfer Textilwerke ("Martex"), Verwaltung Volkseigener Betriebe "Trikot" mit Sitz in Markersdorf. (4)

Nach der Fusionierung mit weiteren fünf Privatbetrieben zum 1. Januar 1953 firmierte der Betrieb unter dem Namen VEB Textilwerke "Clara Zetkin" mit Sitz in Burgstädt (4), in Markersdorf befand sich deren Produktionsabteilung 2/3. (2)

Es bestanden zu dem Zeitpunkt drei Werke in Burgstädt, ein Werk in Markersdorf und ein Werk in Limbach-Oberfrohna. Zunächst gehörte der Betrieb in die Zuständigkeit der VVB "Trikot" Limbach-Oberfrohna, seit 1954 zum Ministerium für Leichtindustrie, Verwaltung Volkseigener Betriebe Industriezweigleitung Trikot, Limbach-Oberfrohna, seit 1956 zur Hauptverwaltung Trikotagen und Strümpfe, Limbach-Oberfrohna und seit 1958 zur Vereinigung Volkseigener Betriebe Trikotagen und Strümpfe, Limbach-Oberfrohna. (4)

Knapp die Hälfte der gesamten Belegschaft des Großbetriebes arbeitete 1958 in Markersdorf. Hergestellt wurden Handschuhe und Oberhemden sowie später Damennachtwäsche und Trainingsanzüge. (2)

In dem Großbetrieb VEB Textilwerke "Clara Zetkin" sind im Laufe seines Bestehens eine Vielzahl privater und volkseigener Textilbetriebe der Bekleidungsbranche zusammengeschlossen worden. Ende der 1980er Jahre umfasste das Produktionsprofil modische Damennachtwäsche, Nachtwäsche und Untertrikotagen für Kinder sowie Haus- und Freizeitbekleidung. (4)

Graziella Logo

Die Produktion von Handschuhen, Oberhemden, und Damenunterwäsche erfolgte in den 1980er Jahren unter dem Namen "Graziella“. (3) „Graziella" war das Markenzeichen der Erzeugnisse aus dem VEB Textilwerke „Clara Zetkin" Burgstädt. (2)

Werbefotos für Trainingsanzüge der Marke Graziella in den 1980er Jahren Werbefotos für Trainingsanzüge der Marke Graziella in den 1980er Jahren


 
Vom Industriestandort zur Industriebrache

Mit der Wende 1989 kam für die Textilwerke auch die wirtschaftliche Wende. Bereits 1990 erfolgte Kraft Treuhandgesetz die Umwandlung zur "Textilwerke Graziella GmbH" im Aufbau mit Sitz in Burgstädt. Der Rechtsnachfolger verfügte über 16 Werke und weitere 12 Produktionsstätten. (4) Das 70 Prozent der Erzeugnisse in Ostblockländer exportiert wurden und diese Märkte mit der Einführung der D-Mark am 1. Juli 1990 komplett wegbrachen (6) hatte natürlich auch einen Anteil am Niedergang der heimischen Textilindustrie. 1991 wurde der Betrieb in Markersdorf geschlossen. (2) Die Auflösung der Gesellschaft erfolgte zum 30. Juni 1992, die Liquidation wurde 2002 beendet. (4)

Die ungenutzten Gebäude wurden "ausgeschlachtet" und dann dem Verfall preisgegeben (2003) Die ungenutzten Gebäude wurden "ausgeschlachtet" und dann dem Verfall preisgegeben (2003)


Die Fabrikgebäude wurden, wie auch die Brache der GROMA, von der Treuhand an Spekulanten verkauft, die von tolle Plänen sprachen aber nur am schnellen Geld interessiert waren und die Gebäude "ausschlachteten". Nachdem alle lohnenswerten Rohstoffe entfernt waren kümmerten sich die damaligen Besitzer überhaupt nicht mehr um das Anwesen und die Gebäude verfielen immer mehr. Die Gemeinde Claußnitz versuchte nach Klagen von Anwohnern jahrelang vergeblich die Eigentümer zum Nachkommen ihrer Pflichten zu bewegen. Nach einigem hin und her begann 2007 der Abriss der Fabrikgebäude, doch die Gemeinde Claußnitz musste schlussendlich den Rechtsweg beschreiten (7) um die immer mehr zur Gefahr werdenden Ruinen in Gemeindebesitz zu bringen und einen Abriss mit anschließender Neugestaltung endlich realisieren zu können.

Ein paar Jahre spaäter waren bereits Dach und Obergeschoß eingestürzt (Foto von 2007) Ein paar Jahre später waren bereits Dach und Obergeschoß eingestürzt (Foto von 2007)


 

Aus dem "Netto-Markt" wird "Brutto" nichts

Zwischenzeitlich war 2011 im Gespräch in unmittelbarer Nähe einen Supermarkt zu errichten, was jedoch am Claußnitzer Widerstand scheiterte. Ob ein weiterer Supermarkt an dieser Stelle Sinn gemacht hätte, darüber kann man natürlich streiten. Für die Anwohner ohne eigenes Fahrzeug sowie für viele ältere Bürger von Markersdorf wäre es sicher eine Verbesserung gewesen, wirtschaftlich muss aber dagegen natürlich die Sinnfrage gestellt werden. Weitere Ablehnungsgründe der Gemeinde Claußnitz waren dann schon sehr weit hergeholt (Eisenbahnverordnung) und schlussendlich wurde hier gegen den Willen der Markersdorfer Bürger entschieden. (8) Auch der sonst immer beschworenen freien Marktwirtschaft wurden hier von kommunaler Seite selbst gewählte Grenzen gesetzt. Vielleicht wäre es besser gewesen wenn die Gemeinde Claußnitz mit Gegnern und Befürwortern zusammen eine Lösung gesucht hätten, als sich einfach festzulegen. Mich stört hier weniger die vielleicht sogar richtige Entscheidung gegen den Neubau des Marktes als vielmehr die Argumentation und das absolute Ablehnen von möglichen Verbesserungen in Markersdorf. Gemeinsam geht anders!

Doch nun haben wir bereits die 2020er Jahre und das Kapitel geplanter Netto-Markt in Markersdorf ist inzwischen "lange" her und nur noch Teil der Geschichte.


Der Zustand sämtlicher Gebäude der Industriebrache ließ nur eine Lösung zu Der Zustand sämtlicher Gebäude der Industriebrache ließ nur eine Lösung zu

Kompletter Abriss aller Fabrikgebäude des ehemaligen Industriestandortes (2007) Kompletter Abriss aller Fabrikgebäude des ehemaligen Industriestandortes (2007)


 
Nun wächst Gras über der Sache …

Inzwischen wurden sowohl die Gebäude der ehemaligen Fabrik, als auch die alten Wohngebäude an diesem Standort abgerissen, das Gelände eingeebnet und begrünt. Für den Chemnitztalradweg, der hier vorbeiführt, ist an dieser Stelle ein Rastplatz geschaffen worden. Neben einem Kletter- und Spielbereich für Kinder lockt hier ein "Outdoor Fitnesspaucours" zum Verweilen und Bewegen ein. Zudem finden sich Sitzgelegenheiten, ein paar wenige PKW Stellplätze sowie Fahrradstellplätzen mit Anlehnbügeln.




Quellen:

  • (1) "Aus der Heimat für die Heimat", Beiblatt zum Burgstädter Anzeiger und Tageblatt, Nr. 3 aus dem Jahre 1935, Artikel von Heinz Gräfe, Markersdorf
  • (2) aus Artikel "Freie Presse" vom 11.09.2007 / Ortschronist Ralf Göldner, Markersdorf
  • (3) Broschüre 500 Jahre Markersdorf (Chemnitztal) von 1989
  • (4) VEB Textilwerke "Clara Zetkin", Burgstädt und Vorgänger (https://archiv.sachsen.de/archiv/bestand.jsp?oid=09.15.06&bestandid=31406&syg_id=56785&_ptabs=%7B%22%23tab-geschichte%22%3A1%7D#geschichte)
  • (5) Kooperation und Effizienz im Dienste des Eroberungskrieges: Die Organisation von Arbeitseinsatz, Soldatenrekrutierung und Zwangsarbeit in der Region Chemnitz 1939 bis 1945 von Silke Schumann, ISBN: 364736973X, 9783647369730
  • (6) aus Artikel "Freie Presse" vom 23.08.2007
  • (7) aus Artikel "Freie Presse" vom 17.10.2010
  • (8) aus Artikel "Freie Presse" vom 19.10., 25.10., 08.11., 02.12.11 sowie 05.05. und 07.07.2012
  • Fotos Graziella: Foto Hoppe Markersdorf (eigenes Archiv)
  • restliche Fotos und Bilder F. Schramm (eigenes Archiv)

© F. Schramm 2021